Artikel aus der "Struppi"

Mit freundlicher Genehmigung des Tierschutzvereins Hannover

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Teamteaching mit Blade - Hunde in der Schule

(Bericht von Susanne Wondollek)

Blade ist nervös. Unruhig wechselt er von einem Platz zum anderen. Ruhig sitzen mag er schon lange nicht mehr. Die Umgebung, die Menschen, die anderen Hunde: Alles ist und riecht fremd. Zum Glück ist sein Frauchen Anja K. dabei. Endlich hat das Warten ein Ende:  als vorletzter Prüfungskandidat ist er dran.
Jetzt geht es um die Wurst…..und um seine offizielle Ernennung zum Schulhund. Den Umgang  mit Kindern und Lehrmaterialien ist er seit Langem gewohnt. Doch heute muss Blade mit einem ihm fremden Kind und in unbekannter Umgebung beweisen, dass er die Anweisungen seines Frauchens versteht und richtig umsetzt. Das hat Anja K., Lehrerin an der Blindenschule, natürlich sorgfältig vorbereitet.
Auf Kommando apportiert er Holzbuchstaben, die der Schüler entgegennimmt,  tastend erkennt und zu Wörtern zusammen fügt.
Fast alles klappt wie am Schnürchen. Und um 16.40h heißt es: Prüfung bestanden!

Der pädagogische Einsatz von Hunden ist nicht neu. Wegbereiter für ihren Einzug an Schulen war u.a. Bernd  Retzlaff. Der Lehrer hatte eine mehr als schwierige 9. Klasse übernommen. Ein  Schüler war als Dealer polizeilich bekannt, Prügeleien, Gewalt, Raub an der Tagesordnung. Bis er zu einer Nachmittagsaktion Jule  mitbrachte.  Die Labradorhündin verbreitete so gute Stimmung, dass seine Schüler baten, sie doch auch in den Unterricht mitzubringen.
Das tat der Mathelehrer. Fortan war Jule regelmäßig in der Hauptschule zu Gast. Und zwei Jahre später war Bernd Retzlaffs  Klasse nicht wieder zu erkennen. Die Labradorhündin hatte ganze Arbeit geleistet.  Seine Schüler arbeiteten konzentrierter, die Lernatmosphäre war entspannt, Rangeleien und Pöbeleien kaum noch Thema.
„Für einen Hund ist es egal, ob man schlechte Noten hat, sich zu dick fühlt oder Pickel hat“,
erklärt der Mathematiklehrer das Phänomen. Und hat mit Johnny Depp prominente Unterstützung: „Die einzigen Lebewesen auf der Welt, die dich bedingungslos lieben, sind Kleinkinder und Hunde“, meint der Schauspieler.

Mittlerweile sind deutschlandweit rund Tausend Hunde im schulischen Einsatz, in und um Hannover jedoch eher noch die Ausnahme.

Blade  ist einer von ihnen. Er arbeitet an einer besonderen Schule und mit besonderen Schülern, nämlich am Landesbildungszentrum für Blinde in Kirchrode. Sein Frauchen, Anja Korthues, unterrichtet und betreut dort sechs Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren. Deren Beeinträchtigungen  sind sehr unterschiedlich, manche eher kognitiv, andere psychisch oder motorisch ausgeprägt. Einige der Jugendlichen sind in allen Bereichen gehandicapt. Alle Schüler/Innen sind blind oder hochgradig sehbehindert.
Bei meinem Besuch staune ich über die Größe der Zimmer und deren durchgehende, gläserne Verbindung. Schnell wird mir die Notwendigkeit dieser relativen Weitläufigkeit deutlich: manches Mobiliar braucht seinen Platz und muss hin- und her geschoben werden können. Und an der Sitzgruppe mit Tischen und Stühlen steht eben immer auch mindestens ein Rollstuhl oder ein Pflegebett.

In allen drei Räumen gibt es Nischen, um sich zwischendurch zurückziehen zu können, so, wie gerade Timo*. In sich gekehrt schaukelt er in einer Hängematte vor sich hin und kaut auf seiner kleinen Gummiente. Meinen Gruß erwidert er freundlich, ohne mich anzuschauen und wendet mir sein Ohr zu: Er ist vollblind. Ich darf seiner Hängematte den einen oder anderen Schubs geben. Seine kaum wahrnehmbar nach oben gezogenen Mundwinkel zeigen, dass er das nicht ganz schlecht findet.
Malina* im Rollstuhl ist müde. An Unterhaltung und „action“ ist sie momentan nicht interessiert. Doch ihre Augen spiegeln wider, dass sie unsere Anwesenheit wahrnimmt. So  auch  Rhea. Die 14jährige  genießt die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster auf ihr Bett fallen. Das Fingerhakeln, das sich aus unserer Begrüßung entwickelt hat, scheint ihr wie auch unsere Nähe und Stimmen ebenfalls zu gefallen. Auf jeden Fall mag sie meine Hand nicht loslassen – und ich ihre auch nicht, denn sie ist viel wärmer als meine.

Irgendwann tue ich es doch, denn im Nachbarraum warten Ahmed und Phil. Beide  begrüßen mich aufgeschlossen und fröhlich. Gern beantworten sie meine Fragen. Am liebsten wollen sie  gleich mit ihrem Programm anfangen. „Kommen wir wirklich in die Zeitung?“, fragen sie.  Ich verspreche es ihnen.

Beide haben etwas vorbereitet – mit Blade natürlich!
Ahmed will sofort loslegen, wird jedoch von Anja Korthues an die notwendige Vorbereitung erinnert. „Was brauchst du dafür?“
Der 16jährige überlegt nur kurz und sucht die benötigten Materialien zusammen. Vor sich einen kleinen, unten offenen Plastikturm mit drei schmalen Schlitzen, die zu ertasten sind. In jede muss an der richtigen Stelle eine Scheibe eingeführt werden, auf die dann jeweils ein Leckerli deponiert wird.
Kein Problem für uns Sehende, eine Herausforderung und Geduldsprobe für einen fast Blinden.
Mit gerunzelter Stirn schiebt Ahmed die dritte Scheibe in den Turm.
„Hast du nicht was vergessen?“
„Ach ja“. Das Leckerli für Blade fehlt auf der mittleren Scheibe, also zieht er die oberste wieder aus dem Turm, um den kleinen Hundekeks an der richtigen Stelle einzuwerfen.
Konzentriert führt Ahmed seine Aufgabe zu Ende. Und dann ist es vollbracht: die Scheiben sitzen an den richtigen Stellen, auf jeder liegt ein Leckerli.
Vorsichtig stellt Ahmed die Turmkonstruktion auf den Boden und ruft Blade zu sich. Der schwarze Collie ist sofort zur Stelle, zieht routiniert und in der richtigen Reihenfolge die drei Scheiben aus dem Turm. Die nacheinander heraus fallenden Leckerli hat er schnell vertilgt. Kaum ist festzustellen, wer sich mehr freut: der Collie oder Ahmed, der vor Begeisterung ein paar Luftsprünge unternimmt.

Nun möchte Phil vorführen, was er mit Blade erprobt hat. Aufgeregt will auch er sofort loslegen. Frau Korthues erinnert ihn: „Hast du denn alles, was du brauchst?“. Nein, die Socken und die Belohnungskäsestückchen fehlen noch. Aber dann geht es los: Phil verstaut zunächst jeweils ein Plastikförmchen (Raute, Stern, Blume) in den Socken und wirft sie anschließend in den Raum. Auf das Signalwort  „Bring“ reagiert Blade sofort. Brav bringt er Phil die gefüllten Socken zurück. Der nächste Schritt ist für den 17jährigen deutlich schwieriger: die Förmchen sind nacheinander auszupacken und deren Form zu erfühlen, um sie anschließend in die passende Öffnung der Steckfigur zu drücken.  Alles andere als einfach, wenn man motorisch beeinträchtigt ist und kaum sehen kann. Doch Phil vertut sich nur einmal bei den Steckformen und ist zu Recht stolz.  Seine Begeisterung möchte er mit Blade teilen, umarmt ihn und mag ihn kaum wieder loslassen. Bis seine Lehrerin ihn erinnert, dass auch der Collie mal seine Ruhe braucht.

An seinen vier Präsenztagen werde er ganz unterschiedlich eingesetzt, so Frau Korthues. Mal gehe es um die Buchstabenerkennung und Wortbildung, mal um Rechenübungen – und alles wird verknüpft mit der Förderung von Fein- oder Grobmotorik und der verschiedenen Wahrnehmungskanäle. Natürlich sei Blade auch „Objekt der Metaebene“, für den gesungen, ein Spielzeug gefertigt und Kekse gebacken werden – oder den sie einfach streicheln und bekuscheln dürfen. Das kann manchmal ganz schön anstrengend für einen kleinen Hund sein. Darum, so Frau Korthues, habe er immer die Möglichkeit, sich in seine Box zurückzuziehen. Alle Jugendlichen wissen: dort darf er nicht gestört werden. Denn: genau wie sie selbst braucht auch ein Tier mal eine Pause.

„Besondere Bedeutung hat auch seine ‚Antenne’, erklärt Frau Korthues. „Blade nimmt oft als erster wahr, wenn es einem Schüler schlecht geht. Das ist besonders wichtig, wenn der Jugendliche sich nicht oder nur schlecht sprachlich verständlich machen kann. Da ist mein Hund ein regelrechter Seismograph ihrer Gefühle und Befindlichkeiten. Und wenn er einem von ihnen nicht mehr von der Seite weicht, weiß ich: dem Schüler geht es nicht gut.“

Bei Ahmed und Phil ist das heute zum Glück nicht der Fall. Rhea hat sich zur Seite gedreht und uns die ganze Zeit interessiert zugeschaut. Und wenn sie die Übungen von Ahmed und Phil auch nicht mitgemacht hat, sieht man ihr an: auch sie fühlt sich in Blades Gegenwart colliewohl.

•    Die Namen der Schüler/innen mit* wurden geändert

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